Rassismuskritische (Hör)Bücher

Cherry
Eine kleine Einführung, wieso ich diesen Beitrag verfasse:


In Deutschland (und wahrscheinlich auch überall anders auf der Welt) über Rassismus zu sprechen vor allem den strukturellen und institutionellen, die den Alltag vieler BIPoC bestimmen stellt sich oft als schwierig heraus. Nach den Ereignissen der letzten Monate habe ich mich intensiver mit der Thematik auseinandergesetzt und dafür zwei Hörbücher sowie ein Buch konsumiert, die mich viel Neues gelehrt und einiges Bekannte noch einmal gefestigt haben. Danach wollte ich in die Welt hinausgehen, das Gelernte am liebsten jedem/r an den Kopf schmeißen, der oder die auch nur ansatzweise rassistische Kommentare von sich gab und meinem Umfeld die (Hör)Bücher ans Herz legen, die gerade so stark meine Gedankenwelt bestimmten. Ich wusste, dass es auch für mich noch so viel zu Lernen gab, aber ich wollte unbedingt einen ersten Schritt in die richtige Richtung machen und mein nahes Umfeld sensibilisieren.

Ich habe das Glück, in einer vorrangig toleranten und selbstreflektierenden Familie aufgewachsen zu sein, deren Mitglieder über mein neu erlangtes Wissen nachdachten und versuchten, zu verstehen. Zu verstehen, wie tief Rassismus in unserer Gesellschaft steckt. So tief, dass viele ihn gern übersehen. An meinem Arbeitsplatz hatte ich damit leider weniger Erfolg. Als das R-Wort fiel, kam es zu Empörung und Unglaube. Wie sollte etwas, das doch schon immer so durchgeführt wurde, denn bitte rassistisch sein? Wie konnte ich es wagen, auch nur anzunehmen, meine Kolleg*innen könnten rassistisch denken? Ich sah mich über zehn Leuten gegenüber, von denen keine/r meine Ansicht teilte. Ich wurde verbal angegriffen und mit bösen Blicken gestraft. Aber im Grunde geht es hier nicht um mein Leid, schließlich bin ich kein Opfer von Rassismus. Der Moment allerdings zeigte mir, wie recht doch die Frauen hatten, deren Bücher ich gerade hörte, und wie machtlos man sich fühlen konnte, wenn man langsam realisierte, wie viele schwere Schritte wir noch zu gehen haben.

 


Tupoka Ogette vereint in ihrem Buch Exit Racism - Rassismuskritisch denken lernen (als Hörbuch von ihr selbst und weiteren Sprecher*innen gemeinsam gelesen) sowohl den Blickwinkel von BIPoC (in Form von Erfahrungsberichten), als auch die Perspektive weißer Menschen (in Form von Tagebucheinträgen ihrer Studierenden). Dabei bildet ein von ihr gehaltenes Uni-Seminar zum Thema interkulturelle Kompetenz die Basis des Textes. Im Rahmen meines Studiums habe ich ein Seminar mit dem gleichen Titel besuchen dürfen, weshalb ich einige der hier angesprochenen Punkte bereits kannte, jedoch hatte ich das Gefühl, aus diesem Hörbuch viel mehr mitgenommen zu haben als damals in der Uni. Vielleicht lag es am wesentlich umfangreicheren Inhalt, vielleicht aber auch an der Tatsache, dass Frau Ogette aus eigener Erfahrung weiß, wovon sie spricht. Das Buch verfolgt das Ziel, dem metaphorischen "Happyland", von dem sie berichtet und das sie als Sinnbild unserer weißen, privilegierten Blase verwendet, zu entkommen. Dies mag zwar nicht immer ganz einfach sein – wie uns auch die Stimmen der Studierenden berichten – aber unvermeidlich für ein rassismuskritisches Denken und Handeln.


Alice Hasters Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen: aber wissen sollten stimmt dagegen einen viel persönlicheren Ton an. Sie berichtet darin über Rassismuserfahrungen aus Kindheit und Jugend; spricht über die Suche nach Identität als schwarze Frau in Deutschland und erzählt von alltäglichen Tücken, über die man sich als weiße Person wahrscheinlich nie Gedanken macht. Dabei nimmt sie auch Bezug zu Büchern wie Exit Racism oder Carolin Emckes Gegen den Hass (beide sehr lesens- bzw. hörenswert!) und verleiht dem Text so eine gute Mischung aus Biographie und sachlichem Input. Viele Stellen ihres Buches habe ich als ganz klare Horizonterweiterung wahrgenommen, da sie ihren Leser*innen/Hörer*innen einen Einblick gewähren, der einem sonst verschlossen bleibt. So werde ich wahrscheinlich nie vergessen, wie sich ihre ersten Gedanken an einen möglichen weißen Freund anhörten. Die getroffenen Aussagen und die Abgeklärtheit, die darin zum Vorschein kamen, haben mir die Augen für die Sorgen und Ängste schwarzer Frauen (und sicherlich auch Männer) geöffnet.


Das 1963 erschienene The Fire Next Time, welches ein aus zwei Essays bestehender Band ist, wurde vor über 50 Jahren geschrieben und bleibt leider weiterhin hoch aktuell. Beim ersten Text handelt es sich um einen Brief an James Baldwins Neffen, dem er zu vermitteln versucht, was es bedeutet, ein Schwarzer in Amerika zu sein; beim zweiten um einen sogenannten "Brief aus einer Landschaft [s]eines Geistes", in dem er sowohl Weiße als auch Schwarze dazu aufruft, gemeinsam gegen Rassismus einzustehen. Der zweite Text (auch der wesentlich längere der beiden) hat mich etwas mehr beeindruckt, weil Baldwin darin nicht nur gesellschafts- sondern auch religionskritisch argumentiert. Er spricht sich ganz klar für eine Gemeinschaft von Schwarz und Weiß aus und geht mit religiösen Fanatikern (sowohl weißen als auch schwarzen) hart ins Gericht, die versuchen, eine "Rasse" über eine andere zu erheben. Das Buch könnte auch von einem Aktivisten der heutigen Zeit stammen und hat von seiner Sprachgewalt nichts einbüßen müssen.


Da mich alle drei Werke schlichtweg beeindruckt haben, vergebe ich
(diese in diesem Kontext sehr lächerlich wirkenden):

3 Kommentare:

  1. Von James Baldwin habe ich bisher `Beale Street Blues´ gelesen, weitere Titel habe ich vermerkt. Das von dir hier vorgestellte Buch, rutscht gleich ein wenig in der Leseliste vor.

    Aber auch für die Vorstellung der beiden Hörbücher möchte ich dir danken, da sie mir bis eben unbekannt waren, was jedoch nichts damit zu tun hat, dass ich mich mit der Thematik nicht auseinandersetze.

    Deine Einleitung zu deinen (Hör-)Buchgedanken habe ich mit Interesse gelesen, da ich Parallelen zu meinem Umfeld ziehen kann. Zeitgleich geben sie mir das Gefühl, nicht allein zu sein.

    Danke für deinen Beitrag.

    Sonnige Wochenendgrüße, Hibi

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  2. Haha, ich habe tatsächlich einen ganz ähnlichen Post in Planung ;) Tut mir nach wie vor sehr leid für dich diese Erfahrung an deinem Arbeitsplatz gemacht zu haben. Finde es aber trotzdem gut, dass du den Mund aufgemacht hast. Vielleicht hat das im Nachhinein ja doch Leute zum Nachdenken gebracht. Ogette beschreibt es mit dem Happyland halt wirklich perfekt, diese Stufen des Erwachens, die sie nennt, kamen mir auch äußerst bekannt vor und ich habe sie schon bei anderen Menschen erlebt (ich kann gar nicht sagen, ob ich selbst auch so war... also ich habe definitiv auch lange in Happyland gelebt, aber ich glaube ich war von vornherein empfänglicher und offener, was die Kritik an mir selbst angeht?).
    Oh ja und der Brief in Alice Hasters Buch war wirklich herzergreifend! Überhaupt mochte ich ihr Werk noch einen Tacken mehr, weil es eben so persönlich ist und sie einfach die schönste Hörbuchstimme hat. Übrigens ein Punkt, der mich mehr und mehr an der deutschen Hörbuchlandschaft stört: Schwarze Geschichten werden nicht von Schwarzen Menschen gelesen (außer, wie hier, bei Sachbüchern). Da muss sich langsam echt was dran ändern.
    Das von Baldwin muss ich auch endlich mal lesen. Überhaupt einen oder mehrere seiner Romane. Das schiebe ich seit Jahren vor mir her, weil ich immer Angst davor habe, dass es zu bedrückend wird.

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  3. Herzlichen Dank für deinen Beitrag. Ich habe einen Blogbeitrag über Wer die Nachtigall stört von Harper Lee geschrieben.

    https://martinasbuchtagebuch.wordpress.com/2020/07/11/wer-die-nachtigall-stoert-roman-von-harper-lee/

    Liebe Grüße Martina

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