"Gesammelte Werke"
Eine Liebeserklärung

Cherry

Martin, Verleger in Göteborg und Vater zweier fast erwachsener Kinder, hadert mit sich und seinem Leben. Die schönsten Jahre, die er mit seinem besten Freund Gustav in den 70ern und 80ern erleben durfte, liegen weit hinter ihm. Seitdem seine Frau Cecilia vor 15 Jahren verschwunden ist, organisiert er den Familienalltag allein. Rakel, seine Tochter, die er verzweifelt ins Verlagswesen einzubinden versucht, findet in einem Buch einen Hinweis auf ihre Mutter. Hinter dem Rücken ihres Vaters beginnt sie eine Recherche, die sie bis nach Berlin führt. Im Hinterkopf immer die Frage: Wer war Cecilia wirklich?

Für eine selbst ernannte Vielleserin mag diese Beichte zwar seltsam klingen, aber ich habe Angst vor dicken Büchern. Diese besteht weniger aus der Angst vor einer hohen Seitenanzahl als vielmehr aus der, eine lange Zeit in einem Roman verweilen zu müssen, der mir eigentlich nicht gefällt (womit wir wieder bei der leidigen Frage „Bücher abbrechen oder durchkämpfen?“ wären, die ich hier aber nicht weiter beleuchten möchte). Schon oft hatte ich in der Vergangenheit das Gefühl, dass man bei diesem oder jenen Buch getrost hundert Seiten hätte einsparen können, weil deren Inhalt nicht ausschlaggebend für die Geschichte war oder nur aus den von mir verhassten, ellenlangen Beschreibungen von Umgebung und Äußerlichkeiten bestand. 

„Komm zum Punkt!“ werdet ihr zurecht denken. „Was hat das denn nun mit Gesammelte Werke von Lydia Sandgren zu tun?“ „Sogar sehr viel“, muss ich euch antworten, denn dieses Buch hat mich kuriert. Wie kann ein Mensch Mitte dreißig bitte schon solch einen atmosphärisch dichten Roman schreiben, der vor Kunst, Literatur, Philosophie und Psychologie nur so strotzt? Eingesogen vom Göteborg der 70er und 80er, von Paris, Berlin und natürlich den Protagonist*innen, die sich allesamt in der Kulturszene bewegen, war ich einerseits hingerissen, andererseits eingeschüchtert. Doch handelte es sich um Einschüchterung im besten aller Sinne; diejenige, die Finger zum Jucken bringt, den Geist herausfordert und nicht betäubt. 

Ich kann an dieser Stelle keine objektiven Worte finden, noch kann ich euch versprechen, dass ihr eine ähnliche Erfahrung mit dem Buch machen werdet. Für mich persönlich hat sich jedoch jede Seite gelohnt. Ich wollte mich mit Gustav und Martin betrinken (obwohl ich sie manchmal gar nicht leiden konnte); ich wollte mich mit Cecilia an den Schreibtisch setzen und eine Dissertation schreiben; ich wollte mich Rakel anschließen und ihre Mutter finden. Aber vor allem wollte ich immer immer weiterlesen. Gesammelte Werke ist für mich ein Ausnahmebuch, für das ich mich auch bei den beiden Übersetzern Stefan Pluschkat und Karl-Ludwig Wetzig bedanken muss. Wenn ein Roman mir zeigen konnte, wie wichtig eine gute Übersetzung ist, dann ja wohl dieser.

 

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Dieser Blog ist mit Blogspot, einem Googleprodukt, erstellt und wird von Google gehostet.
Es gelten die Datenschutzerklärung & Nutzungsbedingungen für Googleprodukte.

Falls du unter diversen Posts kommentieren möchtest, benötigst du ein Google-Konto. Hier anlegen.

Wenn ihr das Häkchen neben "Ich möchte Benachrichtigungen erhalten" aktiviert, informiert euch Google jeweils durch eine Mail an die in eurem Googleprofil hinterlegte Mail-Adresse.
Durch Entfernen des Häkchens deaktiviert ihr dieses Abonnement und es wird euch eine entsprechende Vollzugsnachricht angezeigt. Als Alternative enthalten die Benachrichtigungsmails auch einen Deaktivierungslink.