Warum "Meine dunkle Vanessa" der Gegenspieler zu Nabokovs "Lolita" ist

Cherry

Vanessa wurde von ihrem High School-Lehrer missbraucht. Das jedenfalls sagen alle Menschen aus ihrer Umgebung, nur sie selbst möchte sich das nicht gern eingestehen. Sie ist sich sicher, dass das zwischen ihr und Mr. Strane etwas Besonderes war und nichts mit Missbrauch zu tun hatte. Als sich jedoch die Vorwürfe gegen den Lehrer häufen und ein aufklärender Zeitungsartikel zum Thema erscheinen soll, muss sich Vanessa ihrer Vergangenheit und den damit verbundenen, ungemütlichen Fragen stellen. Hat sie sich all die Jahre selbst belogen?

Meine dunkle Vanessa ist kein Buch, was mich von der ersten Seite an überzeugte. Der aufgedrängte Vergleich mit Nabokovs Lolita und die klischeehafte Darstellung des Lehrer-Schülerinnen-Verhältnisses ließen mich anfangs schon am großen Jubel der bisherigen Leserschaft zweifeln. Auch der Protagonistin Vanessa konnte ich zu Beginn nichts abgewinnen, da sie trotz ihrer immer wieder betonten Intelligenz so ignorant mit ihrer eigenen Situation umging. Beim Grübeln wurde mir jedoch langsam etwas bewusst, oder sagen wir, ein Interpretationsansatz breitete sich in meinem Kopf aus.

Meine dunkle Vanessa ist ein moderner Gegenspieler zu Lolita (das ich glücklicherweise erst vor Kurzem gelesen hatte). Der Roman lässt dabei das für sein restliches Leben gebrandmarkte Opfer erzählen und nicht den wortgewandten, selbstgerechten Täter, wie es bei Nabokovs Klassiker der Fall ist. Wir erleben in ausgeschmückter Weise das ganze Leid der jungen, klugen und so vielversprechenden Erzählerin mit, sehen ihr Leben sogar langsam daran zerbrechen. Und das Verstörende an der ganzen Sache ist nicht einmal der Missbrauch an sich, sondern Vanessas Verharmlosung, ja sogar Verteidigung eben dessen, ungeachtet ihrer Intelligenz. Die Leser*innen sollen Vanessa nicht verstehen, sie sollen sehen, was für Auswirkungen ein zwischenmenschlicher Machtmissbrauch in einem Individuum anrichten kann, sodass es wider jegliche Vernunft agiert. 

Ja, Frau Russell hat es sich zum Ende hin sehr einfach gemacht und sich meiner Ansicht nach auch zu sehr auf den Missbrauch und zu wenig auf die Zeit im Jetzt fokussiert. Und auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass das Buch sprachlich etwas mehr in „Lolita“s Fußstapfen getreten wäre, komm ich nicht umhin, zu sagen, dass mir Meine dunkle Vanessa dennoch gefallen hat, da die Autorin ihr Ziel in meinen Augen erreichen konnte.

 

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