Fast "Ungezähmt"

Cherry

Wild und ungezähmt möchte Glennon Doyle in ihrer Sammlung an Anekdoten aus dem eigenen Leben berichten, wie sie es geschafft hat, von der gläubigen, amerikanischen Vorzeigemutter zur feministischen Philosophin zu mutieren. Der Weg bis dahin war holperig und nicht immer leicht, denn die Autorin hielt sich gefangen in einem Käfig aus äußeren und inneren Erwartungen, die sie alle zu erfüllen versuchte. Bis zu dem Tag, an dem sie sich in eine Frau verliebte und ihre ganze Welt ins Wanken geriet. 

Ich kann Frau Doyle eine gewisse Weisheit nicht absprechen. Man spürt in jeder kleinen Geschichte, dass sie sich in den letzten Jahren viele Gedanken um ihre Identität, um die Gesellschaft in der sie lebt und um ihre Familie gemacht haben muss. Sie kam dabei zu so manch klugem Schluss, den ich während des Lesens gern nickend bejahte. Vor allem ihre Ideen zu Sexualität, ressourcenorientierter Erziehung und Empathie im Leben miteinander haben mir sehr gut gefallen. Auch weil sie immer wieder verdeutlicht, dass sie selbst nicht perfekt ist, noch viel zu lernen hat und jedes Individuum seinen eigenen Weg gehen muss. 

Und hier kommt auch schon mein kleines Problem mit dem Buch. Glennon Doyle wiederholt zwar oft, dass jeder Mensch anders mit Herausforderungen umgehen kann, stellt ihre eigenen Auffassungen aber an die Spitze. Sie scheint im Verlauf des Buches zu vergessen, dass ihre Entscheidungen nicht für alle Menschen gelten, sodass sich ihr Text manchmal wie ein Ratgeber liest. Etwa in der Mitte des Buches musste ich es erstmal beiseitelegen und eine mehrtägige Pause einlegen, weil mir alles etwas zu spirituell, zu positiv und zu optimistisch wurde. Das Problem bei Anekdoten ist nun einmal, dass man sich die besten Momente aus einem Leben herauspickt und alles drumherum, all die Authentizität, links liegen lässt. Das aber war nicht die Absicht der Autorin. Sie wollte etwas Wahres schaffen, etwas ganz und gar Ehrliches. Ich glaube nicht, dass ihr das gelungen ist. 

Trotz allem, möchte ich niemandem von dem Buch abraten, weil ich weiß, dass es dort draußen viele Frauen gibt, die dem früheren Ich der Autorin ähneln und sicherlich vieles aus Doyles Texten lernen und für sich mitnehmen können. Einige ihrer Schlussfolgerungen sind es wert, gelesen zu werden, solang man sich vor Augen führt, dass es sich hier um eine weiße, amerikanische Frau handelt, die vor ihrer persönlichen Revolution bereits eine große Fangemeinde hatte, aus der sie die Kraft und Unterstützung ziehen konnte, von der andere Menschen nicht einmal zu träumen wagen.

 

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Dieser Blog ist mit Blogspot, einem Googleprodukt, erstellt und wird von Google gehostet.
Es gelten die Datenschutzerklärung & Nutzungsbedingungen für Googleprodukte.

Falls du unter diversen Posts kommentieren möchtest, benötigst du ein Google-Konto. Hier anlegen.

Wenn ihr das Häkchen neben "Ich möchte Benachrichtigungen erhalten" aktiviert, informiert euch Google jeweils durch eine Mail an die in eurem Googleprofil hinterlegte Mail-Adresse.
Durch Entfernen des Häkchens deaktiviert ihr dieses Abonnement und es wird euch eine entsprechende Vollzugsnachricht angezeigt. Als Alternative enthalten die Benachrichtigungsmails auch einen Deaktivierungslink.